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Pflanzenheilkunde

Schlüsselblume (Primula veris, Primula elatior)

Primelgewächse

Abbildung 1. Schlüsselblume P. veris, Pflanzen mit Stängel und Blüten.
Abbildung 1. Schlüsselblume P. veris, Pflanzen mit Stängel und Blüten.

Geschichte

Primula veris bedeutet: „die erste des Frühlings“. Sie ist die Sonnenpflanze des Frühjahrs und war der nordischen Göttin Freya geweiht. Freya trug in ihrer Krone die Schlüsselblume, um im Frühling die schlafenden Kräfte in der Natur zu wecken und die Herzen der Menschen dafür aufzuschließen. Später übernahm Maria diese Funktion und öffnete mit der Schlüsselblume die Himmelspforte.

Die Schlüsselblume war auch eine Lieblingspflanze einer besonderen Frühlingsgöttin, der Ostara. Sie kam zusammen mit dem stärker werdenden Sonnenlicht aus dem Osten. Ihrer lebensspendenden Kraft zu Ehren wurden Frühlingsfeste gefeiert und die ihre Altäre mit Schlüsselblumen geschmückt. Runde Brotfladen symbolisierten die neue Kraft der Sonne, frische Eier die Fruchtbarkeit und Ostarafeuer erfreuten alle – die Göttin, die Sonne und die Menschen. Alle diese Bräuche waren Vorläufer unseres Osterfestes.

Die Schlüsselblume war in Mitteleuropa sowohl Heilkraut als auch Zauberpflanze. Besonders magisch wirkte sie, wenn man sie zu Weihnachten oder Fastnacht blühend vorfand. Sie ist der geheimnisvolle Schlüssel, der in so vielen Märchen zu verborgenen Schätzen führt. Zusammen mit anderen Frühjahrspflanzen ist die Schlüsselblume enthalten im „Trank der Begeisterung“, der die Geister des Frühlings in die Herzen und Köpfe der Menschen bringt.

Seit jeher wird die Schlüsselblume auch in Verbindung gebracht mit der weiblichen Kraft. Namen wie Fraulischlössli oder Heiratsschlüssel berichten noch davon. Im Mittelalter legten die Frauen bei Vollmond 7 Blüten der Schlüsselblume auf ihren Bauch um ihre Fruchtbarkeit zu wecken.

Hildegard von Bingen empfahl, den Hymelslozel bei Melancholie und Wahnvorstellungen aufs Herz zu binden, er habe all seine Kraft von der Sonne. Otto Brunnenfelß bezeichnete sie im Jahre 1537 als Herba Paralysis, denn sie heile Lähmungen und Schlaganfall, Ohnmacht, Herzbeschwerden und Gicht. Tabernaemontanus schrieb 1564, sie helfe „gegen Blödhaupt, Gehirnverschleimung, das erkaltete Gehirn und verstopfte Nerven“. Und Sebastian Kneipp empfahl „bei Anlage zur Gliedersucht oder Gliederkrankheiten täglich eine Tasse Schlüsselblumentee zu trinken, die Schmerzen würden sich lösen“.

Botanischer Steckbrief

Abbildung 2. Schlüsselblume P. eliator; Pflanzen mit Stängel, Blättern und Blüten.
Abbildung 2. Schlüsselblume P. eliator; Pflanzen mit Stängel, Blättern und Blüten.

Die hohe Schlüsselblume (P. elatior) liebt feuchte Wiesen und Laubwälder. Die echte (P. veris) Schlüsselblume zieht trockene bis wechselfeuchte Wiesen vor. Beide haben eine grundständige Blattrosette, die Blätter sind länglich, leicht runzlig und in den geflügelten Blattstiel verschmälert. Die Blütenstängel sind blattlos, leicht behaart und mit vielblütiger Dolde. Primula elatior hat eine blassgelbe, ausgebreitete Blütenkrone, an die der Fruchtkelch eng anliegt. Primula veris eine dunkelgelbe, glockenförmige Blütenkrone, von der der Fruchtkelch bauchig absteht. Mitten auf jedem Blütenblatt trägt sie einen orangefarbigen Punkt. Shakespeare reimte über sie: „Ihr seht den Fleck am goldnen Kleid, das sind Rubinen, Feengaben, wodurch sie süß mit Düften laben.“

Als Arzneidroge verwendet werden sowohl die getrockneten Blüten mitsamt den Kelchen (Primulae flos cum calycibus) als auch die getrockneten Wurzelstöcke mit den daran anhängenden 1 mm dicken, langen Wurzeln (Primulae radix). Beide Drogen können von beiden Schlüsselblumenarten gewonnen werden.

Vorsicht

Schlüsselblumen darf man pflücken, aber nicht ausgraben; die Wurzeln stehen unter Naturschutz.

Signatur

Das ganze Blütenbüschel am Ende eines Stängels sieht wirklich so aus, wie ein Schlüsselbund und verführt zu der Annahme, dieser Schlüsselbund könnte den Himmel aufschließen und die Frühlingskräfte herauslassen. Die einzelnen Blüten sprechen durch ihren Duft. Ein tiefer Atemzug füllt die Lungen mit Wärme, Wohlbefinden und Fürsorge. Beim Ausatmen reinigt er das ganze Lungengewebe und nimmt mit, was dort nicht hingehört. Dieser Duft verbreitet Zuversicht, Leichtigkeit, Mut und eben Frühlingsgefühle. Die kleinen Härchen an Stängel und Blättern stecken meist voller Kieselsäure und kündigen ihre Wirkung auf das Flimmerepithel der Lunge an.

Inhaltsstoffe und Wirkung

Schlüsselblumenwurzeln

Schlüsselblumenwurzeln (im Herbst geerntet) enthalten folgende wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe:

  • 3–12% Triterpensaponine, sie wirken antimykotisch, antiviral, antibakteriell
  • 0,2–2,3 % Phenylglykoside, die antioxidativ wirken
  • Gerbstoffe
  • Flavonoide, u.a. Apigenin, Rutosid, Quercetin
  • Kieselsäure, sie stärkt das Lungengewebe
  • Salicylsäurederivate: entzündungshemmend, hemmen Entzündungsmediatoren
  • ätherische Öle

Die Triterpensaponine der Schlüsselblume reizen außerdem den Vagusnerven im Magen. Dadurch erfolgt reflektorisch eine Wasserausscheidung der Schleimhaut in den Bronchien, die den zähen Schleim verflüssigt. Indirekt fördert das den Auswurf von Bronchialsekret und den Abtransport des Schleims.

Merke

Im Tierversuch waren Primelblütenextrakte in der Wirkstärke mit dem herkömmlichen schleimlösenden Wirkstoff Acetylcystein (ACC) vergleichbar.

Schlüsselblumenblüten

 enthalten 

  • dieselben Triterpensaponine wie die Wurzeln, jedoch in deutlich geringerer Menge
  • bis zu 3% Flavonoide  und damit deutlich mehr als die Wurzeln

Schlüsselblumenblüten haben folgende Wirkungen:

  • lösen den zähen Schleim
  • expektorierend
  • spasmolytisch auf Atemmuskulatur
  • diuretisch

Schlüsselblumen sind besonders in Kindertees sehr beliebt, wobei ihnen der Tee aus den Schlüsselblumenblüten besser schmeckt als den -wurzeln. Sie können gut mit anderen Frühlingspflanzen (z.B. Spitzwegerich) kombiniert werden.

Anwendungsgebiete/Indikationen

Schlüsselblumenblüten und Schlüsselblumenwurzeln kommen zur Anwendung bei folgenden Beschwerden:

  • Erkrankungen der Atemwege, HNO-Erkrankungen:
    • Katarrhen der Atemwege, Bronchitiden, chronischer Bronchitis
    • Erkältungskrankheiten (Husten, Rhinitis)
    • Altershusten
    • Sinusistis
  • Schlaflosigkeit
  • Pilzinfektionen der Mundschleimhaut

Indikationen nach Monografien

Das HMPC hat Schlüsselblumenwurzeln und -blüten als traditionelle pflanzliche Arzneimittel eingestuft und lässt den Einsatz als schleimlösendes Mittel bei erkältungsbedingtem Husten zu. Auch die ESCOP nennt als Anwendungsgebiet produktiven Husten und Katarrhe der Luftwege sowie chronische Bronchitis. Ebenso nennt die Kommission E die Katarrhe der Luftwege als Indikation.

Indikationen nach Erfahrungsheilkunde

In der Volksheilkunde werden Schlüsselblumenblüten und -wurzeln angewendet bei folgenden Beschwerden:

  • Schwindel, Migräne, Nervosität bei Wetterwechsel
  • „Frühlingserkrankungen“ wie Gelenkschwellungen, „müde“ Extremitäten, Krampfneigung
  • Herzbeschwerden bei Wintereinbruch im Frühling, insbesondere bei älteren Menschen, die vermehrte Wasserausscheidung entlastet den Kreislauf.

Merke

Die Schlüsselblumen schützen das Herz, indem sie die Herzkranzgefäße stärken. P. veris stärkte in Laboruntersuchungen die Kontraktilität der Herzkranzgefäße.

Traditionell gilt die Schlüsselblumenwurzel auch als Mittel gegen rheumatische Beschwerden und Gicht. Bei der Aufarbeitung der Wurzel entstehen entzündungshemmende Salicylsäurederivate, die für diese Wirkung verantwortlich sein können und ähnlich wirken wie Aspirin (ASS).

In der Volksheilkunde stehen die Blüten in dem Ruf, beruhigend zu wirken und das Einschlafen zu fördern, z.B. in einem Schlafkissen. Sie wurden eingesetzt gegen Angstzustände, Schlafstörungen, Hysterie und Epilepsie. Ein alkoholischer Extrakt der Schlüsselblume (z.B. als Tinktur) enthält Stoffe, die wie Beruhigungsmittel aus der Klasse der Benzodiazepine wirken und an den GABAA-Rezeptor binden.

Anwendung in anderen Therapiebereichen

In der Homöopathie wird Primula veris verwendet bei Hautausschlägen (Urtikaria, Ekzeme), Rheuma, Kopfschmerzen und Migräne.

In der Spagyrik gilt Primula veris als Stärkungsmittel für das Nervensystem und hat analgetische, entzündungshemmende, krampflösende und harntreibende Eigenschaften, sie hilft auch bei Rosazea.

Wirkung auf die Psyche

Die Schlüsselblume ist das Symbol für die im Frühling wieder erwachende Natur. Der Anblick ihrer sonnigen Blüten weitet das Herz und vertreibt Trübsinn, Angst und Pessimismus. Sie ersetzt all das durch Zuversicht, Leichtigkeit und Mut und schenkt das Vertrauen, dass dort, wo sich das Problem zeigt, auch die Energie zu seiner Lösung zu finden ist. Das Licht der Ur-Kraft leuchtet aus den Schlüsselblumen. Darin zeigt sich die Verbindung zur Göttin und zu der weiblichen Energie, die mit Liebes- und Lebenslust angefüllt ist. Sie hilft in der Freude des Augenblicks zu leben.

Fallbeispiel

Manchmal hilft auch ein Pflanzenspaziergang, um die Wirkung einer Pflanze zu vermitteln. Diesmal war es eine 50-jährige Patientin, der im Frühling die Lebensfreude abhandengekommen war. Die Wechseljahre und die dunkle Jahreszeit steckten noch in ihrem Gemüt und es wollte ihr einfach nicht gelingen, etwas Schönes oder Ermunterndes zu entdecken. Ein Spaziergang durch den jungen Frühlingswald und eine Rast an einem plätschernden Bach inmitten eines Fleckens aus blühenden Schlüsselblumen brachte die Wende. Immer wieder sog sie den Duft der Blüten ein und ganz allmählich breitete sich ein Strahlen in ihrem Gesicht aus. Sie hatte sich als fröhliches Kind mit einem Strauß Schlüsselblumen in der Hand wieder gefunden. In der folgenden Zeit brachte die Arbeit mit diesem inneren Kind ihre Zuversicht zurück.

Dosis/Dosierung

Primelwurzel: 0,5–1,5 g Droge; Tagesdosis Primelblüten: 2–4 g.

Darreichungsformen und Zubereitungen

Behandlungsempfehlung

Hustentee für Kinder

1 TL Wurzeln oder 2 TL Blüten mit ¼ l Wasser zum Sieden erhitzen und 5-10 Min. zugedeckt ziehen lassen. 2–3 Tassen täglich. Da der Tee aus Schlüsselblumenblüten besser schmeckt, ist er für Kinder besonders gut geeignet.

Hustentee

20 g Primelwurzel, je 10 g Anis, Fenchel und Spitzwegerich. 2 TL davon pro Tasse aufbrühen, 10 Min. ziehen lassen, 2- bis 3-mal täglich davon eine Tasse trinken, evtl. mit Honig süßen.

Schlüsselblumenwein – herzstärkende Frühlingsmedizin

Frische Schlüsselblumenblüten mit Kelch solange mit einem trockenen Weißwein übergießen, bis sie alle gut mit Flüssigkeit bedeckt sind. Die verschlossene Flasche 2 Wochen bei Zimmertemperatur stehen lassen, regelmäßig umschütteln, dann abfiltrieren. 1–2 Likörgläschen pro Tag genießen.

Behandlungsempfehlung

Bewährte Fertigarzneimittel

  • Monopräparate: Primula veris Urtinktur DHU
  • Kombinationspräparate: Bronchipret (+ Thymian), Sinupret (+ Enzianwurzel, Holunderblüten, Ampferkraut, Eisenkraut), Ipalat (+ Fenchel, Menthol, Sternanis)

Nebenwirkungen, Interaktionen, Kontraindikationen

  • Nebenwirkungen: Vorsicht ist geboten bei Patienten mit Magenbeschwerden.
  • Interaktionen: Es sind keine bekannt.
  • Kontraindikationen: Allergien gegen Primelgewächse