Inhaltsverzeichnis
- Geschichte
- Botanischer Steckbrief
- Signatur
- Inhaltsstoffe und Wirkung
- Anwendungsgebiete/Indikationen
- Indikationen nach Monografien
- Indikationen nach Erfahrungsheilkunde
- Prävention und aktuelle Forschung
- Anwendung in anderen Therapiebereichen
- Wirkung auf die Psyche
- Dosis / Dosierung
- Darreichungsformen und Zubereitungen
- Nebenwirkungen, Interaktionen, Kontraindikationen
Enziangewächse
Geschichte
Als erster pries Dioscurides im 1. Jh. n. Chr. Enzian als Allheilmittel, als „Antidot gegen Tiere und Pest.“ Hildegard von Bingen empfahl bei Magen- und Herzbeschwerden, das Enzianpulver in Suppen zu streuen.
Auf den Märkten in den mittelalterlichen Städten wurden Teile von Enzianwurzeln oft als Ersatz für die geheimnisvolle und sehr teure Alraune angeboten. Seit dem 16. Jahrhundert wird Enzianschnaps destilliert. Er fand so viele Liebhaber, dass es zu einem Raubbau in den Alpen kam, der die Enzianarten gefährdete. Jährlich wurden viele 100 kg ausgegraben. Zur Rettung der Pflanzen mussten sie unter Naturschutz gestellt werden. Der Enzianschnaps hat nicht die gleiche Wirkung wie Pulver oder Tee, da ihm die Bitterstoffe größtenteils entzogen wurden. Er enthält allerdings die charakteristisch duftenden ätherischen Öle, die den Gallefluss steigern und so die Verdauung fördern.
Botanischer Steckbrief
Nur der Gelbe Enzian wird als Heilpflanze verwendet wird. Er blüht leuchtend gelb und überragt mit seiner Größe all seine blau blühenden Verwandten. Der aufrechte Stängel ist sogar so kräftig, dass er oft noch im Winter über der Schneedecke zu sehen ist. Er wächst in den Bergwiesen der Alpen, gelegentlich auch auf der Schwäbischen Alb und im Schwarzwald. Er wird bis zu 1,50 m hoch, hat runde, kahle, aufrechte Stängel, die innen hohl sind. Eine Enzianpflanze blüht erst nach 5–10 Jahren und kann bis zu 80 Jahre alt werden. Ihre Blätter werden bis zu 30 cm lang, sind 15 cm breit und von 5- bis 7-bogigen, verzweigten Hauptnerven durchzogen. Sie sitzen bei der ausgewachsenen Pflanze gekreuzt gegenständig am Stängel. Die gelben Blüten wachsen in den Blattachseln und werden von Blättern geschützt. Die Wurzel wird im Laufe der Jahre bis zu 1 m lang, so dick wie ein kräftiger Arm und wiegt dann mehrere Kilogramm. So ist sie leicht zu ernten – und auch leicht auszurotten. Deswegen stehen alle Enzianarten unter Naturschutz. Die Enzianernte heute streng lizensiert.
Arzneilich verwendet werden die unterirdischen Organe bestehend aus dem Rhizom (Wurzelstock Gentianae rhizoma) und den Wurzeln (Gentianae radix).
Signatur
Die gelbe Blütenfarbe verweist auf eine Wirkung auf Leber und Galle. Die prachtvolle Gestalt und die mächtige Wurzel lassen eine potente Heilpflanze vermuten. Ebenso wie der bittere Geschmack, der auf gesundmachende Fähigkeiten schließen lässt. Die oberen Blätter sind wie Halbschalen gewölbt und umschließen wie mit schützenden Händen die zahlreichen Einzelblüten im Inneren. Die Blüten sehen aus wie eine Anhäufung kleiner Sternchen, die durcheinandergewirbelt sind. Roger Kalbermatten sieht darin ein zerteilendes Prinzip, das auf allen Ebenen auf die starke Verdauungskraft schließen lässt. Das ist auf der körperlichen Ebene der Abbau von körperfremdem Eiweiß zu Aminosäuren, die der Körper verwerten kann. Und auf der seelischen Ebene hilft der Enzian, die Ereignisse des täglichen Lebens zu verdauen.
Der Gattungsname Gentiana geht zurück auf Genthios, den letzten König aus Illyrien, dem heutigen Albanien. Er habe die Wirksamkeit der Wurzel des Gelben Enzians als erster erkannt und bereits im 1. Jh. eine sirupartige Zubereitung daraus hergestellt. Der Artname lutea nimmt auf die gelbe Farbe der Blüten Bezug. Enzian leitet sich ab von dem wissenschaftlichen Namen unter Verlust des „G“.
Inhaltsstoffe und Wirkung
Enzianwurzeln enthalten die folgenden wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe:
- 2–4% Secoiridoid-Bitterstoffe mit einem Bitterwert von mindestens 10.000 (u.a. 2,5% Gentiopikrosid und 0,04% Amarogentin). Amarogentin schmeckt noch in einer Verdünnung von 1:58.000.000 bitter und gilt als die bitterste bekannte Substanz.
- ätherisches Öl
- gelbe Farbstoffe (Xanthonderivate)
- Kohlenhydrate, u.a. das Trisaccharid Gentianose
- Triterpene, Phytosterole
Als reines Bittermittel, als Amarum purum, haben Enzianwurzeln folgende Wirkungen:
- verdauungsfördernd:
- fördern Speichel- und Magensaftproduktion durch die reflektorische Wirkung der Bitterstoffe über die Mundschleimhaut und aktivieren damit die gesamte Verdauung
- sorgen für bessere Durchblutung und Tonussteigerung von Magen und Darm
- kurbeln die Galle an (cholagog)
- vertreiben Pilze aus dem Darm
- immunstimulierend: stärken das Immunsystem bei entzündlichen Magen-Darm-Erkrankungen wie M. Crohn (Gentiopicrosid senkt das IgA)
- steigern die Bronchialsekretmenge
Anwendungsgebiete/Indikationen
Enzian und seine Zubereitungen finden Anwendung bei folgenden Beschwerden des Verdauungstrakts:
- Appetitanregung, auch bei empfindlichem Magen
- Magenbeschwerden und Verdauungsstörungen jeglicher Genese, wie z.B. Blähungen, Völlegefühl, Luftschlucken
- Leber-, Galle- und Pankreasstörungen
- allgemeine Verdauungsschwäche
- Symbioselenkung im Darm
- Gärungsdurchfälle
Fallbeispiel
„Ja, ja, das mit dem Schnapserl ist schon ganz schön,“ sagte der alte Bergführer, der uns auf der Wanderung in Tirol begleitete. Aber ihm sei schon immer die Wurzel lieber gewesen. Das sei sein Kaugummi, das ihn gesund erhalte, sagte er, zog ein Beutelchen aus seiner Tasche und gab eine Runde Enzianwurzel – keinen Enzianschnaps – aus. Ein Kaugummi zum Gesundbleiben – wenn man sich erstmal an den bitteren Geschmack gewöhnt hat, ist das die einfachste Bitterstoffzufuhr überhaupt.
Indikationen nach Monografien
Das HMPC hat Enzianwurzel als traditionelles pflanzliches Arzneimittel eingestuft. Enzianwurzel kann bei zeitweilig auftretender Appetitlosigkeit und bei leichten dyspeptischen und gastrointestinalen Beschwerden eingesetzt werden. Genauso sehen es die ESCOP und die Kommission E. Die WHO führt aus Laborversuchen folgende Eigenschaften an: antimikrobiell, krampflösend, galletreibend und sekretionsanregend.
Indikationen nach Erfahrungsheilkunde
In der Erfahrungsheilkunde wird Enzian außerdem seit alten Zeiten bei folgenden Beschwerden geschätzt:
- in der Rekonvaleszenz als Tonikum
- chronisch entzündliche Erkrankungen der Schleimhäute im Mund- und Rachenbereich
- Atemwegserkrankungen, steigert die Menge an Bronchialsekret
- Anorexia nervosa
- fiebrige Erkältungen
- als Fresslustpulver in der Veterinärmedizin.
Prävention und aktuelle Forschung
Durch die anregende Wirkung der Bitterstoffe auf den Darmstoffwechsel kann Adipositas und damit verbundene Krankheiten wie Diabetes mellitus vorgebeugt werden.
Anwendung in anderen Therapiebereichen
Auch in der Homöopathie wir Gentiana lutea bei Verdauungsschwäche mit Völlegefühl, Appetitlosigkeit oder Heißhunger angewendet.
In der Spagyrik gilt Gentiana lutea als Magenmittel, das bei akuten und chronischen Magenkatarrhen, bei Magen- und Darmschwäche und bei Blutarmut eingesetzt wird.
Die Bachblüte Gentian stammt von dem violett blühenden Herbstenzian, Gentiana amarella, und bringt Vertrauen, Ausdauer und Zuversicht.
Wirkung auf die Psyche
Enzian schenkt deprimierten und lethargischen Menschen neue Lebenskraft. Er hilft, das Schöne im Alltag zu sehen und sich daran zu erfreuen. Enzian verleiht Tapferkeit und Wagemut. Und jeder Fortschritt bringt mehr Sicherheit, Bestätigung und Freude.
Dosis / Dosierung
Tagesdosis: 2–4 g.
Darreichungsformen und Zubereitungen
Behandlungsempfehlung
Enziantee
Kaltansatz: ½ TL Enzianwurzel in 250 ml Wasser ansetzen, 8 Stunden (z.B. über Nacht) ziehen lassen, dann abgießen, bei Bedarf auf Trinktemperatur erwärmen. Oder als Aufguss: 1TL Wurzel mit 250 ml kochendem Wasser übergießen, 10 Min. zugedeckt ziehen lassen, abgießen. 3- bis 4-mal täglich eine Tasse warmen Enziantee trinken. Zur Appetitanregung soll der Tee jeweils 15–20 Min. vor den Mahlzeiten, bei Verdauungsbeschwerden nach den Mahlzeiten getrunken werden
Enziantinktur
10 g klein geschnittene Enzianwurzel (aus der Apotheke) in einem Schraubdeckelglas mit 100 ml 70-prozentigem Alkohol (Apotheke) übergießen. 4 Wochen unter regelmäßigem Umschütteln stehenlassen, absieben und in dunkle Arzneifläschchen abfüllen. Dosierung: 3-mal täglich 15 Tr. auf 1 Glas Wasser.
Enzian-Kaugummi
Für „Zwischendurch“ oder auf Reisen genügt es schon, kleine Stücke der Enzianwurzel wie ein Kaugummi zu kauen.
Behandlungsempfehlung
Bewährte Fertigarzneimittel
- Monopräparate: Gentiana Urtinktur Ceres, DHU
- Kombinationspräparate: Amara-Tropfen-Pascoe (mit Chinarinde, Pomeranzenschalen, Zimtrinde), Gallexier Saft (+ Artischockenblätter, Curcumawurzelstock, Ingwerwurzelstock), Magentropfen N (+ Fenchel, Pomeranzenschale, Benediktenkraut, Pfefferminze)
Nebenwirkungen, Interaktionen, Kontraindikationen
- Nebenwirkungen: Bei Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren sowie bei Magenübersäuerung darf Enzianwurze, nicht eingenommen werden. Eine Hyperazidität kann verstärkt werden. Selten kommt es zur leichten Blutdruckerhöhung.
- Interaktionen, Kontraindikationen: Es sind keine bekannt.
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