Inhaltsverzeichnis
- Geschichte
- Botanischer Steckbrief
- Signatur
- Inhaltsstoffe und Wirkungen
- Anwendungsgebiete/Indikationen
- Indikationen nach ESCOP, HMPC, WHO, Kommission E
- Indikationen nach Erfahrungsheilkunde
- Anwendung in anderen Therapiebereichen
- Wirkung auf die Psyche
- Dosis/Dosierung
- Darreichungsformen und Zubereitungen
- Nebenwirkungen, Interaktionen, Kontraindikationen
Geißblattgewächse
Geschichte
Baldrian ist eine Pflanze, die sich durch all die Jahrhunderte als Heilpflanze behauptet hat. In der älteren Literatur werden vornehmlich seine harntreibenden Eigenschaften hervorgehoben. Und seit Hippokrates gilt er als ein gutes Frauenheilmittel.
Baldrian galt immer als Dämonen und Hexen abwehrend – wohl wegen des starken Geruchs. Wildfräuleinkraut hieß er in alten Zeiten, weil die geheimnisvollen Wildfräulein mit diesem Kraut die Menschen gesund pflegten. Die Sage berichtet, dass sie in den Pestzeiten aus dem Wald gekommen seien und den verzweifelten Menschen zugerufen hätten: Esst Pimpinell und Baldrian, so gehet euch die Pest nit an!
Mit dem Satz „Baldrian und Dost, das hab ich nicht gewosst“ soll sich einer Legende zufolge der Teufel von dannen getrollt haben, als er ein schönes junges Mädchen verführen wollte, das vorsichtshalber Dost (Oregano) und Baldrian bei sich trug.
In England hieß Baldrian auch All-heal, Allesheiler.
Botanischer Steckbrief
Baldrian ist eine mehrjährige Pflanze. Er liebt feuchte Wiesen, Gräben und Wälder überall in Mitteleuropa und Asien. Im 1. Jahr bildet er eine grundständige Blattrosette, aus der sich im 2. Jahr ein aufrechter Stängel schiebt, der bis zu 1,50 m hoch werden kann. Der Stängel ist außen gefurcht und innen hohl und nur im oberen Teil zur Blüte hin verzweigt. Die wenigen Blätter sind gegenständig, unpaarig gefiedert, die lanzettlichen Fiedern sind glattrandig oder gesägt. Seine weiß- oder rosafarbenen Blüten blühen von Mai bis Juni . Sie stehen zahlreich in einer rispigen Trugdolde, ihre Kronen sind 2–4 mm breit, die 5 Kronblätter sind am Grunde miteinander verwachsen. Die einsamigen Früchte sind 2–4 mm lang, mit bis zu 7 mm langen fedrigen Pappusborsten, die mit dem Wind verbreitet werden. Gegraben wird der daumendicke Wurzelstock mit zahlreichen Nebenwurzeln und Ausläufern nach der Blüte im Herbst (Valerianae radix). Erst beim Trocknen bildet sich der typische Baldriangeruch, verursacht durch die frei werdende Isovaleriansäure.
Arzneilich verwendet werden die Wurzeln des Baldrians (Valerianae radix).
Signatur
Wieder erzählt der Name der Pflanze eine Geschichte: Baldur ist der nordische Gott der Sonne, der das Licht auch in Form der leuchtenden Baldrianblüte mitten in den dunklen Wald trägt. Baldur bedeutet der Hilfsbereiteste. Der nordische Gott und seine Pflanze bieten bei allen Schwierigkeiten ihre Hilfe an und bringen Licht in die Dunkelheit. Im Baldrian steckt die Ruhe der Wälder. Der botanische Name geht zurück auf das lateinische Wort valere und bedeutet gesund sein, sich wohl fühlen. Officinalis zeichnet eine Pflanze aus, die in alten Zeiten als Arzneipflanze in der Offizin, dem Arbeitsraum einer Apotheke verarbeitet wurde.
Die Blüten des Baldrians duften verführerisch. Sie verleiten dazu, diesen Duft tief einzuatmen und sich von ihm mit geschlossenen Augen in die innere Ruhe führen zu lassen. Nachts im Mondenschein leuchten sie phosphoreszierend. Es verwundert nicht, dass Baldrian früher als Mondwurz oder Elfenwurz bezeichnet wurde und die Menschen die Elfen im Mondlicht um sie herum tanzen sahen. Denn die frisch gegrabenen und gewaschenen Wurzeln sehen aus wie der lange weiße Bart eines alten Weisen. Es ist ein sehr beruhigender Anblick, auch wenn der Duft dieser frischen Wurzel noch eher belebend ist. Der charakteristische Baldriangeruch entsteht erst beim Trocknen.
Inhaltsstoffe und Wirkungen
Baldrian hat folgende wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe:
- ätherische Öle: > 2,1%, mit Mono- und Sesquiterpenen (= Valerensäuren), Valeriansäuren (Pentansäuren)
- Iridoide: Valepotriate und deren Abbauprodukte
- Alkaloide in Spuren
- Lignane
- Flavonoide, Kaffeesäurederivate
Die sedierende Wirkung wird von verschiedenen Wirkstoffgruppen hervorgerufen: Insbesondere die Valerensäuren (Sesquiterpene) steigern im Gehirn die Konzentration von GABA (Gamma-Aminobuttersäure) am Rezeptor und wirken zentraldämpfend. Wahrscheinlich sind sie auch verantwortlich für die angstlösende und entspannende Wirkung. Einige Inhaltsstoffe docken an den gleichen Rezeptoren an wie Psychopharmaka, z.B. Benzodiazepine und Barbiturate. Die Folge ist eine verminderte Erregbarkeit der Nervenzellen und eine beruhigende, schlaffördernde Wirkung.
Merke
Valepotriate sind sehr thermo- und chemolabil und werden beim Aufarbeiten der Baldrianwurzel und beim Herstellen der Zubereitungen zerstört, sodass sie in Infusen, Extrakten, Tinkturen nur noch in allerkleinsten Spuren enthalten sind.
Baldrian hat folgende Wirkungen:
- zentral dämpfend, sedativ
- schlaffördernd
- anxiolytisch: Die angstlösende Komponente des Baldrians hilft darüber hinaus bei Angstträumen, Prüfungsangst oder Lampenfieber, bei Trauma oder Schock. Baldrian nimmt auch Angst vor der Entbindung oder nach einer Fehlgeburt, hilft bei Stimmungsschwankungen beispielsweise in den Wechseljahren
- entkrampfend (spasmolytisch)
- muskelrelaxierend
- antidepressiv
- psychisch ausgleichend, z.T. antriebsteigernd
- konzentrationsfördernd, leistungssteigernd
Merke
Die konzentrationsfördernde- und leistungssteigernde Wirkung von Baldrian ergibt sich durch die durch bessere Abschirmung gegen äußere Reize. Angriffspunkt ist die Formatio reticularis – nicht das limbische System wie bei Valium u.a. Tranquilizern.
Bei der Bewältigung des täglichen „Dämons" Stress wirkt Baldrian ausgleichend, indem er Unruhige beruhigt und Erschöpfte munter macht.
Merke
Studien belegen, dass Baldrian positiv regulierend in den Stoffwechsel des Gehirns eingreift. Deswegen hilft Baldrian auch kleinen Zappelphilippen, Kindern, die Mühe haben, sich zu konzentrieren und die ständig unruhig und nervös sind.
Anwendungsgebiete/Indikationen
Zubereitungen aus Baldrian lösen Krämpfe und entspannen die Muskulatur, schaffen Erleichterung bei Magenkrämpfen, Darmkoliken und Asthma bronchiale. Sie helfen zudem bei Reizblase und Bettnässen, bei Kopfschmerzen und allen Muskel- und Nervenschmerzen, z.B. bei Rheuma und Arthritis, Neuralgien und Gürtelrose.
Baldrian hilft bei folgenden Beschwerden:
- nervöse bedingte, funktionelle Beschwerden: Baldrian ist das ideale Mittel für alle, die nervös und erschöpft sind, deren Geist nicht zur Ruhe kommt und die deshalb nicht einschlafen können. Kombinationen von Baldrian und Hopfen wirken als Schlafmittel ebenso gut wie synthetische Produkte.
- nervöse Unruhezustände und psychisch-motorische Labilität, auch mit krampfartigen Beschwerden im Magen-Darm-Trakt
- nervöse Schlafstörungen: die Einschlafzeit wird verkürzt, die Schlafqualität verbessert, die nächtlichen Wachphasen werden weniger und der Schlaf tiefer. Es gibt kein Hang-over
- nervöse Herzbeschwerden (zusammen mit Weißdorn)
- Lampenfieber und Prüfungsangst
- Kopfschmerzen
- Erschöpfung (nervöse) und geistige Überanstrengung, Stress
- Asthma bronchiale, Husten, Schwindel, Angstträume
- Reizblase und Bettnässen
- Wetterfühligkeit
Fallbeispiel
Bei einer Kräuterwanderung im November haben wir Baldrianwurzeln ausgegraben und über den Geruch der frischen Wurzel und seine Veränderung beim Trocknen gesprochen. Eine Schülerin, die im nächsten Frühjahr ihr Abitur machen sollte, war von dem Geruch total fasziniert und nahm sich die Wurzel mit nach Hause. Später berichtete sie, dass sie beim Lernen immer an dieser Wurzel gerochen habe. So habe sie ihre Aufregung und Nervosität vergessen und sich gut auf ihre Lernaufgabe konzentrieren können. Liebend gern trank sie in dieser Zeit auch den Tee aus der Wurzel und fühlte sich damit sehr gut aufgehoben und geborgen. Schließlich machte sie ein sehr gutes Abitur.
Merke
Wer von Suchtmitteln wie Schlaf- oder Beruhigungstabletten, aber auch von Alkohol oder Zigaretten wegkommen möchte, sollte zu Baldrian greifen, insbesondere, wenn während der Entwöhnungsphase nervöse Anspannung auftritt.
Der mexikanische Baldrian (V. edulis) und der Indische Baldrian (V. wallichii) enthalten mehr Valepotriate, die eine ausgeprägt sedierende Wirkung auf die Psyche haben. Sie wurden in erster Linie als Tagessedativum eingesetzt. Bei den Valepotriaten wurde experimentell ein mutagenes Potenzial festgestellt. Bei der Körperpassage allerdings werden sie sehr schnell über Glucuronsäure entgiftet und stellen dann keine Gefahr mehr da. Trotzdem wurden die valepotriathaltigen Präparate vom Markt genommen.
Indikationen nach ESCOP, HMPC, WHO, Kommission E
Das HMPC hat Baldrianwurzel in Form von Trockenextrakten zur Behandlung einer leichten nervösen Anspannung und zur Behandlung von Schlafstörungen als „medizinisch anerkannt“ („well-established use“) akzeptiert. Zudem sind 2 Kombinationspräparate von Baldrianwurzel und Hopfenzapfen zur Besserung von stressbedingen Symptomen und als Schlafhilfe als „medizinisch anerkannt“ („well-established use“) akzeptiert.
Die Monografien der ESCOP und Kommission E geben Unruhezustände und nervös bedingte Einschlafstörungen als Indikation an. Auch die WHO hat eine Baldrianmonografie erstellt, sie stimmt in den wesentlichen Punkten mit den Monografien von ESCOP und Kommission E überein.
Indikationen nach Erfahrungsheilkunde
Baldrian wurde bei Epilepsie eingesetzt. Auch bei Wurmkrankheiten, Nervenfieber und Hysterie.
Anwendung in anderen Therapiebereichen
In der Homöopathie kommt Valeriana officinalis bei Nervosität, Unruhe und Überempfindlichkeiten zur Anwendung. Auch bei Wechseljahrsbeschwerden, Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen ist er als homöopathisches Arzneimittel eine Hilfe.
Der Baldrian wird in der Spagyrik ähnlich wie in der Phytotherapie eingesetzt. Allerdings sprechen spagyrische Arzneimittel mehr den seelischen Anteil an. Für Baldrian als spagyrisches Mittel gilt die Erkenntnis, dass die Kraft in der Ruhe liegt. Baldrian betäubt nicht und dämpft nicht, er stellt ruhige und erdverbundene seelische Kräfte zur Verfügung.
Wirkung auf die Psyche
Baldrian stärkt den Menschen bei Angst vor Dunkelheit und „bösen Mächten“. Er ist gut für all jene, die Angst vor der Angst haben und durch ihre Angst das anziehen, wovor sie sich fürchten. Baldrian hat sehr ausgleichende Fähigkeiten. So, wie er mit seinen leuchtenden weißrosa Blüten das Licht in das tiefe Dunkel des Waldes bringt, so hilft er auch, die eigenen Schattenseiten in neuem Licht zu sehen. Er kühlt das Gemüt und weiß, dass die Dinge nicht so schlimm sind, wie sie zunächst scheinen. Abends eingenommen, lässt Baldrian erst mal in Ruhe darüber schlafen. Am nächsten Morgen eröffnet sich mit Hilfe des Baldrians eine neue Perspektive.
Baldrian hilft, ganz bei sich zu sein, Einfachheit und Ruhe zu entwickeln. Er ist hilfreich, wenn Gedanken, Gefühle und Aktivitäten anderer auf einen einstürmen und es notwendig ist, einen eigenen „inneren Ruheraum“ zu schaffen. Baldrian verschafft wieder Zugang zu Mut, Zuversicht, Vertrauen und Liebe. Und er bringt Denken und Fühlen in Übereinstimmung und Harmonie.
Dosis/Dosierung
Die Tagesdosis beträgt 10-15 g Droge.
Darreichungsformen und Zubereitungen
Behandlungsempfehlung
Baldriantee
Dieser kann als Aufguss oder als Kaltansatz hergestellt werden, 2-3 Tassen täglich davon trinken:
- Aufguss: 2 TL geschnittene Baldrianwurzeln mit ca. 150 ml siedendem Wasser übergießen und bedeckt stehen lassen. Nach 10–15 Min. abseihen.
- Kaltansatz: 2 TL Baldrianwurzel mit 250 ml Wasser übergießen, 10 Stunden stehen lassen, absieben und trinken.
Baldriantee nach Willibald Gawlik
Damit es nicht zu aufwändig wird, den Vorrat für eine Woche herstellen: 7 TL zerkleinerte Baldrianwurzel in einen Kochtopf geben und mit 7 Tassen Wasser (ca. 1 Liter) übergießen. Den Ansatz etwa 1 Stunde lang stehenlassen und anschließend zum Kochen bringen. Etwa 10 Min. lang leise köcheln lassen. Dann den Topf vom Herd nehmen und verschlossen für 10 Stunden an einen kühlen Platz stellen. Danach abfiltrieren (durch Sieb, Kaffeefilter oder Leintuch) und in einer Flasche mit Schraubdeckel im Kühlschrank aufbewahren. ½ Stunde vor dem Schlafengehen eine Tasse des kühlen oder zimmerwarmen Tees trinken. Er sollte nicht wieder erwärmt oder erhitzt werden. Bei Bedarf mit Honig süßen.
Vollbad
Für ein abendliches Vollbad 100g getrocknete Baldrianwurzel mit 2 l kaltem Wasser ansetzen, aufkochen und 20 Min. köcheln lassen, absieben und in das Badewasser geben. Badezeit 15–20 Min.; für ein Vollbad mit Baldrianöl genügen 10 Tr. ätherisches Baldrianöl.
Behandlungsempfehlung
Bewährte Fertigarzneimittel
- Monopräparate: Baldrian-Dispert, Euvegal Balance 500–1000 mg, Luvased Tbl.
- Kombinationspräparate: Ardeysedon Tbl. (+ Hopfen), Biosedon Tbl. (+ Passionsblume, Hopfen), Baldriparan Tbl. (+ Melisse, Hopfen), Neurapas balance Tbl. (+ Johanniskraut, Passionsblume), Oxacant sedativ (+ Weißdorn, Herzgespann, Melisse), Sedariston (mit Johanniskraut)
Nebenwirkungen, Interaktionen, Kontraindikationen
- Nebenwirkungen: Da Baldrianwurzel möglicherweise die Reaktionsfähigkeit beeinträchtigt, sollte man vorsichtshalber bis zwei Stunden nach Einnahme eines Medikaments mit Baldrianwurzel nicht Auto fahren.
Merke
Bei wenigen Menschen kann Baldrian belebend und aktivierend wirken, wenn er zu hoch dosiert wird. In diesen Fällen die Dosis verringern, um in den Genuss der beruhigenden Wirkung zu kommen.
- Interaktionen, Kontraindikationen: Es sind keine bekannt.
Hinweis
- Die traditionelle Anwendung von 10–20 Tr. Baldriantinktur auf einen Würfel Zucker ist häufig deutlich unterdosiert und kann zu paradoxen Reaktionen führen. Richtig ist eine Dosierung von 2–3 ml (½–1 TL) Baldriantropfen.
- Patienten, die Benzodiazepine einnehmen, dürfen diese nicht abrupt durch Baldrianpräparate ersetzen. Sie sollten langsam über Wochen bzw. Monate ausgeschlichen werden, damit keine Entzugserscheinungen auftreten.
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