Inhaltsverzeichnis
- Geschichte
- Botanischer Steckbrief
- Signatur
- Inhaltsstoffe und Wirkung
- Anwendungsgebiete/Indikationen
- Indikationen nach Monografien
- Indikationen nach Erfahrungsheilkunde
- Anwendung in anderen Therapiebereichen
- Wirkung auf die Psyche
- Dosis/Dosierung
- Darreichungsformen und Zubereitungen
- Nebenwirkungen, Interaktionen, Kontraindikationen
Rosengewächse (Syn. Potentilla erecta)
Geschichte
Die Kräuterkundigen des Mittelalters schätzten die blutstillende Kraft des Ruhrkrauts sehr, denn Cholera, Ruhr und Typhus konnten so manches Mal damit gelindert werden. Als in jenen Zeiten die Menschen nach Heilmitteln gegen die Pest suchten, waren es immer wieder Vögel und andere gute Geister, die Hilfe brachten: So soll im 14. Jahrhundert im badischen Wiesental ein Vogel – für alle verständlich – gerufen haben: Esst Durmedill und Bibernell, dann sterbet ihr gar nüt so schnell. Und ganz in der Nähe sagt man heute noch: Es mag mir fehlen, was da will – Hauptsach i hab mei Dormendill. Aus der Wurzel wird ein gern getrunkener Schnaps gebraut. Die Schotten und die Lappländer färbten mit dem roten Saft aus den Wurzeln ihr Leder rot. Hildegard von Bingen sah in der Blutwurz eine Pflanze, die „gegen Fieber wirkt, die von schädlichen Speisen kommen. Nimm Tormentill und koche sie in Wein und Honig. Seihe das durch ein Tuch, und trinke es oft nüchtern und abends, und die Fieber werden verschwinden.“ Sebastian Kneipp wandte die Blutwurz bei Hautwunden an, weil „der Blutfluss kann durch kein Mittel besser gestillt werden als durch Tormentill.“
Botanischer Steckbrief
Tormentill wächst auf Wiesen, in Mooren, lichten Wäldern, auf saurem Boden. Der kräftige Wurzelstock färbt sich an der Luft rot und erinnert an Blut – daher der Name Blutwurz. Heute wissen wir, dass es die vielen Catechingerbstoffe sind, die von dem Sauerstoff in der Luft oxidiert werden und sich „tormentillrot“ färben. Aus diesem knolligen bis walzenförmigen Rhizom wächst ein teilweise liegender, teilweise aufsteigender Stängel. Die Grundblätter sind dreizählig, die einzelnen Fiederblättchen keilförmig, grob gezähnt mit vorstehendem Endzahn. Die Stängelblätter sind fünfzählig und sitzen mit nur kurzen Stielen am Stängel. Die wenigen Blüten haben nur vier gelbe Kronblätter – das ist eine Ausnahme bei den Rosengewächsen, die sonst alle an fünf Blütenblättern zu erkennen sind. Die vier leuchtend gelben Blütenblätter ragen über die Kelchblätter hinaus, in ihrem Zentrum stehen viele Staubblätter. Sie blühen von Mai bis August. Gegraben werden die Wurzeln im Frühjahr oder im Herbst (Tormentillae rhizoma).
Signatur
Aufgrund der roten Färbung, die beim Kontakt mit Luftsauerstoff entsteht, galt die Blutwurz als Hilfsmittel bei allen Erkrankungen des Blutes und zum Blutstillen. Die gelben Blüten stellen den Bezug zur Leber her, die einen gelben Verdauungssaft, den Gallensaft, produziert. Der Gattungsname Potentilla leitet sich von lat. potentia = Macht ab, mit der Verkleinerung -illa ist ein kleines, heilkräftiges Kraut gemeint. Tormentilla stammt vom lateinischen Wort tormentum = Geschoss ab, und hat wohl an die damaligen Waffen erinnert. Die Verkleinerungsform mit -illa bedeutet Geschösschen. Erectus = aufrecht beschreibt den aufrecht wachsenden Spross.
Inhaltsstoffe und Wirkung
Die Blutwurz ist die gerbstoffhaltigste Arzneidroge. Die Gerbstoffwirkung ist abhängig davon, wie gut die Wurzeln gelagert werden, denn sie können beim Trocknen und Lagern polymerisieren. Dabei entstehen die Phlobaphene, das sind diese roten Gerbstofffarben, wie sie auch die Wurzeln zeigen.
Die Blutwurz hat folgende wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe:
- bis zu 22% sehr gut verträgliche Catechingerbstoffe und Agrimoniin, ein hydrolysierbarer Gerbstoff
- 0,8% Flavonoide, u.a. Kämpferol
- Saponine (Tormentosid – ein Triterpen)
- Phenolcarbonsäuren, u.a. Kaffeesäurederivate
- ätherisches Öl mit rosenähnlichem Duft
- Triterpensäuren (z.B. Tormentillsäure)
Die Blutwurz hat folgende Wirkungen:
- adstringierend:
- zieht die Gewebe zusammen, wodurch Blutungen gestillt, verletzte Blutgefäße in der Schleimhaut repariert werden
- antidiarrhoisch
- kräftigt Schleimhäute im Magen-Darm-Trakt
- entzündungshemmend: greift mit Gerbstoffen in die Entzündungskaskade ein
- interferoninduzierend
- immunstimulierend
- antiviral (gegen Herpes- und Rotaviren)
- antioxidativ (Catechingerbstoffe)
- schwach antiallergisch
Tormentillsäure wirkt hypoglykämisch und blutdrucksenkend (in Laborversuchen). Außerdem haben aktuelle Forschungen eine antithrombotische Aktivität bewiesen, die vergleichbar ist mit der von Acetylsalicylsäure (s.u.).
Anwendungsgebiete/Indikationen
Blutwurz kann bei folgenden Indikationen zur inneren Anwendung kommen:
- akute, unspezifische Durchfallerkrankungen, z.B. Enteritiden, Sommerdiarrhöen
- Magen-Darm-Störungen, auch Colitis ulcerosa
- leichte Schleimhautentzündungen im Mund- und Rachenraum, z.B. Gingivitiden, Stomatididen, Pharyngitiden
- zu starke oder zu lange Menstruation
- Allergien (reinigt die Leber)
Blutwurz-Tinktur kann bei folgenden Indikationen zur äußeren Anwendung angewendet werden:
- Zahnfleisch-, Mund- und Rachenentzündungen oder nach Zahnextraktionen (10 Tr. auf 1 Glas Wasser zum Gurgeln)
- Wunden, Entzündungen, Prellungen, Geschwüren, nässende Ekzeme (kortisonähnliche Wirkung auf der Haut ohne deren Nebenwirkungen – als Spülungen oder Auflagen 1:5 oder 1:10 verdünnen)
- blutende Hämorrhoiden (unverdünnt damit einpinseln oder einen Wurzelextrakt ins Sitzbad geben)
Fallbeispiel
Die Behandlung beim Zahnarzt hatte Frau D. zu schaffen gemacht, das Zahnfleisch war empfindlich und gereizt, sodass sie nur wenig Flüssiges zu sich nahm. Sie kochte sich einen Tee aus der Blutwurz, lies ihn abkühlen und füllte ihn in ein Fläschchen mit Sprühaufsatz. Mit dem erkalteten Tee spülte sie den Mund mehrmals täglich nach jeder Mahlzeit. Für unterwegs und während der Arbeit sprühte sie einige Hübe aus dem Sprühfläschchen in den Mund. Schon nach 2 Tagen hatte sich das Zahnfleisch beruhigt und war wieder intakt.
Indikationen nach Monografien
Das HMPC hat den Tormentillwurzelstock als traditionelles pflanzliches Arzneimittel eingestuft. Zubereitungen aus Tormentillwurzelstock können innerlich zur Behandlung leichter Durchfälle eingesetzt werden und äußerlich bei leichten Entzündungen der Mundschleimhaut. Damit schließt sich das HMPC den Empfehlungen der Kommission E an. Der ESCOP zufolge ist die Blutwurz innerlich indiziert bei unspezifischen, akuten Durchfallerkrankungen und unterstützend bei akuter und chronischer Darmentzündung; äußerlich bei leichten Entzündungen im Mund- und Rachenraum.
Indikationen nach Erfahrungsheilkunde
In der Erfahrungsheilkunde ist die Blutwurz die wichtigste Pflanze bei Durchfällen, bei schmerzenden und blutenden Hämorrhoiden. Bei zu starker Menstruation wurde sie eingesetzt, wenn das Hirtentäschelkraut allein nicht ausreichte. Die Blutwurz kam allein oder in Kombination der beiden Pflanzen zur Anwendung. Sebastian Kneipp empfahl sie außerdem bei Lungen- und Leberleiden und Gelbsucht. Auch Verbrennungen, Erfrierungen und schlecht heilende Wunden wurden damit behandelt. Die wundheilenden Fähigkeiten sind durch neue Studien bewiesen. (Universitäts-Hautklinik Freiburg 2016)
Anwendung in anderen Therapiebereichen
In der Homöopathie und in der Spagyrik ist die Blutwurz nicht sehr bekannt.
Wirkung auf die Psyche
Die Blutwurz bewahrt davor, innerlich „auszubluten“, sich zu verausgaben und über seine Kräfte hinweg zu gehen. Sie hilft dabei, sich frei zu machen von Anforderungen oder Regeln von außen. Und sie hilft dabei, dem zu folgen, was in einem schlummert, oft als „heimliche“ Sehnsucht. Blutwurz weckt die Freude am Besonderen und ermuntert, seine Individualität zu leben. Dadurch wird ganz nebenbei das Selbstbewusstsein gestärkt.
Dosis/Dosierung
Mittlere Tagesdosis 6 g.
Darreichungsformen und Zubereitungen
Behandlungsempfehlung
Blutwurztee
Innere Anwendung
2–3 EL der zerkleinerten Wurzel mit 500 ml kaltem Wasser übergießen, zum Sieden erhitzen, noch 10 Min. köcheln lassen und warm abseihen. Noch schonender ist folgende Zubereitung: 2–3 EL der zerkleinerten Wurzel mit 500 ml kaltem Wasser übergießen, über Nacht stehen zu lassen und morgens aufzukochen. Zwischen den Mahlzeiten 3- bis 4-mal täglich eine Tasse trinken.
Äußere Anwendung
Für die äußerliche Anwendung ist die Dosis doppelt so hoch: 3–4 EL in 500 ml Wasser aufkochen. Der Aufguss kann auch zur Mundspülung und zum Gurgeln verwendet werden.
Blutwurzpulver
Bei starkem Durchfall die gepulverte Wurzel verwenden (oder sie selbst im Mörser pulverisieren), davon 4- bis 5-mal täglich 1 Messerspitze Pulver einnehmen. Die pulverisierte Wurzel lässt sich gut in Rotwein aufschwämmen oder mit geriebenem Apfel verrühren. Davon 3- bis 5-mal täglich 1 TL.
Blutwurz-Tinktur
4–5 EL frische, zerkleinerte Blutwurz-Wurzel mit 500 ml Branntwein ansetzen und 10 Tage ziehen lassen, täglich umschütten, abseihen. Von der fertigen Tinktur 3-mal täglich 20 Tr., verdünnt auf 1 Glas Wasser einnehmen. Für Pinselungen des Zahnfleisches und Parodontose unverdünnt verwenden.
Behandlungsempfehlung
Bewährte Fertigarzneimittel
- Monopräparate: Tortil Kapseln, Tormentilltinktur in der Apotheke
- Kombinationspräparate: Repha-Os Mundspray (+ Myrrhe, Ratanhia)
Nebenwirkungen, Interaktionen, Kontraindikationen
- Nebenwirkungen: Gelegentlich allergische Reaktionen und leichte Beschwerden im Magen-Darm-Bereich bei Überdosierung.
- Interaktionen: Bei innerer Anwendung von Tormentillwurzelstock kann die Absorption von gleichzeitig verabreichten Medikamenten verzögert sein. Tormentillwurzelstock sollte deshalb im Abstand von mindestens 1 Stunde vor oder nach der Einnahme von anderen Medikamenten eingenommen werden.
- Kontraindikationen: Nicht in der Schwangerschaft und in der Stillzeit anwenden.
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