Inhaltsverzeichnis
- Geschichte
- Botanischer Steckbrief
- Signatur
- Inhaltsstoffe und Wirkung
- Anwendungsgebiete
- Indikationen nach Monografien
- Indikationen nach Erfahrungsheilkunde
- Anwendung in anderen Therapiebereichen
- Wirkung auf die Psyche
- Dosis/Dosierung
- Darreichungsformen und Zubereitungen
- Nebenwirkungen, Interaktionen, Kontraindikationen
Lippenblütler
Geschichte
Hildegard von Bingen nennt die Melisse Herztrost, sie stärke das Herz und vertreibe die Melancholie. Sie schreibt: „man lacht gern, wenn man sie isst, da sie das Herz freudig kriegt.“ Melisse wärme die inneren Organe, sei gut bei Verdauungsstörungen, bei Krampfzuständen im Unterleib und beruhige nervöse Störungen. Darunter solche wie Kopfschmerz, Schwindel und Magenbeschwerden. Diese Anwendungen gelten auch heute noch. Paracelsus schloss von den herzförmigen Blättern der Melisse auf ihre herzstärkende Wirkung und lobte sie: „Melissa ist von allen Dingen, welche die Erde hervorbringt, das beste Kräuterlein für das Herz."
Auch die Indikation als Frauenkraut zieht sich durch die Jahrhunderte und ihre Kräuterbücher: es helfe bei Zusammenschnürungen der Gebärmutter, fördere den Monatsfluss, die Empfängnisbereitschaft und die Geburt. Irgendwo gingen, im Laufe der Zeit, diese Anwendung verloren – zumindest in der offiziellen Empfehlung.
Lonicerus schrieb in seinem Kräuterbuch 1679, dass Melisse den Geist erhelle und das Gedächtnis verbessere.
Vor knapp 200 Jahren florierten an Rhein und Main geheime Rezepturen für einen Melissengeist, der das Gedächtnis stärken sollte. Daraus entwickelte sich der Klosterfrau Melissengeist, der seit dieser Zeit gebrannt wird und ein fester Bestandteil vieler Hausapotheken ist. Es ist eine alkoholische Zubereitung aus Melissenöl, gemischt mit Kräutern wie Zimt, Nelken, Muskat, Koriander, Pomeranzen und Angelikawurzel.
Botanischer Steckbrief
Ursprünglich beheimatet im östlichen Mittelmeerraum, wurde die Melisse überall angepflanzt, verwilderte und ist heute aus keinem Garten, in dem sie einmal Fuß gefasst hat, mehr wegzubringen. Sie kann ein Alter von mehreren Jahrzehnten erreichen. Die frischen Blätter haben einen fein gewellten Blattrand, sind länglich herzförmig und stehen gekreuzt gegenständig an einem vierkantigen, sanft behaarten und mehrfach verzweigten Stängel. Die weißen bis weißlich-gelben Blüten wachsen in den oberen Blattachseln quirlartig um den Stängel und werden nur einen knappen Zentimeter groß. Sie sind sehr nektarreich und werden gerne von den Bienen besucht. Blütezeit dieses Bienenkrauts ist von Juni bis August.
Als Arzneidroge werden die Blätter angewendet (Melissae folium). Sie werden vor der Blüte geerntet, da dann der Gehalt an ätherischem Öl am höchsten ist.
Melissenblätter duften am intensivsten, solange sie frisch sind und schmecken dann auch am besten. Nach dem Trocknen verringert sich ihr zitroniges Aroma innerhalb weniger Monate. Es lohnt sich deshalb, eine Melissenstaude im Garten oder Balkonkasten anzupflanzen und immer frische Blätter griffbereit zu haben. Sie schmecken auch erfrischend in Salaten und Süßspeisen. Der stark flüchtige Duft lässt sich schwer einfangen, deswegen ist ätherisches Melissenöl sehr teuer.
Signatur
Melissa ist in der griechischen Sprache die Biene, und Bienen lieben diese Pflanze. Imker rieben die Bienenstöcke damit aus, damit die kleinen Flieger gesund blieben, sich wohl fühlten und immer wieder in diesen Stock zurückkehrten. Der zweite Teil des botanischen Namens officinalis lässt darauf schließen, dass es sich um eine alte Arzneipflanze handelt, denn die Offizin ist der Arbeitsraum einer Apotheke und officinalis bedeutet: in den Apotheken gebraucht.
Die Blätter der Melisse sind rhythmisch, harmonisch und sehr regelmäßig am vierkantigen Stängel angeordnet. Solche Pflanzen können auch den Rhythmus im Körper eines Menschen beeinflussen. So beruhigen sie einen stolpernden Herzrhythmus, den Schlaf-wach-Rhythmus, den Menstruationsrhythmus und fügen auch wieder ein in andere, größere Rhythmen, zum Beispiel die eigene Gestaltung der Tage und Wochen.
Das sanfte Wesen der Melisse ist zu erkennen an den Blättern mit ihren sanften Rundungen und dem angenehmen Duft. Das macht sie zu einer Heilpflanze, die auf ebenso sanfte Weise beruhigt und entspannt. Auf den Blättern sind die verzweigten Blattadern deutlich zu erkennen und zeigen an, dass die Melisse auf die Nerven im menschlichen Körper einwirkt, dort Verkrampfungen löst und Entspannung bringt. Erstaunlich bei diesem zarten Wesen ist die Lebenskraft, die sichtbar wird in den zähen Stängeln und in dem kräftigen Wurzelballen. Wenn der Winter nicht allzu kalt ist, hält sie immer ein paar grüne Blätter bereit. Mit dieser Stärke als Basis bringt sie ihr sanftes, berührendes Wesen zum Ausdruck.
Inhaltsstoffe und Wirkung
Melisse hat folgende wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe:
- 0,1–2% ätherisches Öl, Citral, Citronellal
- Labiaten-Gerbstoffe 4% (Hydroxyzimtsäuren, Rosmarinsäure, u.a.)
- 10–12% mineralische Bestandteile
- Flavonoide
Zubereitungen aus Melisse haben folgende Wirkungen:
- sedativ: beruhigend, angstlösend, mild sedierend
- antimikrobiell:
- antibakteriell durch Labiaten-Gerbstoffe
- antiviral durch die Labiaten-Gerbstoffe, welche die Wände von Herpes- und Influenzaviren schädigen, besonders im wässrigen Extrakt (Tee)
- verdauungsfördernd:
- choleretisch (Labiaten-Gerbstoffe)
- krampflösend, karminativ
- antioxidativ (Flavonoide)
- gefäßdilatierend (wässrige Extrakte)
- stärkt Gedächtnis und Konzentration
Anwendungsgebiete
Zitronenmelisse wird angewendet bei folgenden Indikationen:
- Befindlichkeitsstörungen und psychiatrische Störungen:
- psycho-vegetativen Störungen (ein pflanzlicher „Tranquilizer“)
- nervöse Depression
- Einschlafstörungen, innere Unruhe
- Angststörungen
- Verdauungstrakt:
- nervöse Magen-Darmbeschwerden, Reizmagen, Reizdarm
- akuter Gastritis
- Gallenbeschwerden (spasmolytisch, sedierend)
- Herzbeschwerden (nächtliches Herzklopfen)
- Erschöpfung, Überarbeitung, Ohnmachtszustände
- Wetterfühligkeit
- Infektionen mit Herpes simplex oder Grippeviren
Fallbeispiel
Immer wenn sie im Sommerurlaub am Meer der intensiven Sonnenstrahlung ausgesetzt war, trat bei Frau M. eine Herpesinfektion auf nicht nur an den Lippen sondern auch an den Wangen. Selbst nach Rückkehr aus dem Urlaub heilten die Bläschen nur schwer ab. Sie bekam die Aufgabe, die Zitronenmelisse zu nutzen, die zuhauf in ihrem Garten wuchs. Aus wenigen Blättern sollte sie einen Brei im Mörser oder Mixer herstellen und diesen direkt auf das Gesicht auftragen. 5–10 Min. reichten schon. Nach dem Abspülen beruhigte Leinsamenschleim die Haut: Hierzu ganze Leinsamen mit heißem Wasser übergießen, 20 Min. quellen lassen, absieben. Diese Behandlung ließ die Bläschen schnell abheilen.
Indikationen nach Monografien
Das HMPC hat Melissenblätter als traditionelles pflanzliches Arzneimittel eingestuft und empfiehlt ihre Anwendung zur Besserung leichter Stresssymptome und als Einschlafhilfe sowie bei leichten krampfartigen Magen-Darm-Beschwerden (Blähungen, Flatulenz). Melissenblätter sind in Kombination mit anderen Heilpflanzen (z.B. Baldrianwurzel) zur Besserung des Befindens bei nervöser Belastung bzw. zur Unterstützung der Herz-Kreislauffunktion zugelassen. Äußerlich können sie bei Herpesinfektionen eingesetzt werden. Nach der ESCOP sind Melissenblätter innerlich indiziert bei Angespanntheit, Unruhe und Reizbarkeit sowie zur symptomatischen Behandlung von Verdauungsbeschwerden wie leichte Bauchkrämpfe; äußerlich zur Behandlung der wunden Stellen (Lippenbläschen) bei Lippenherpes. Die Kommission E nennt ähnliche Indikationen: innerlich bei funktionellen Magen-Darm-Beschwerden und bei nervös bedingten Einschlafbeschwerden. Für die WHO sind Melissenblätter indiziert als Karminativum bei gastrointestinalen Störungen und zur Beruhigung bei nervösen Schlafstörungen.
Indikationen nach Erfahrungsheilkunde
Die Wirkung von Melissenblättern wird in der volksheilkundlichen Anwendung geschätzt bei allen nervösen Leiden wie Migräne, Hysterie, Zahn-, Ohr-, Kopfschmerzen, Blaseninkontinenz, Husten und Asthma. Als Frauenwohl hilft sie bei Menstruationsschmerzen, PMS und Schwangerschaftserbrechen. Melisse unterstützt die Blutreinigung und macht das Blut dünnflüssiger. Sie beruhigt bei nächtlichem Herzklopfen, bei Herzneurosen und reguliert den Blutdruck. Äußerlich angewandt helfen Umschläge oder Einreibungen (mit Melissengeist) bei Neuralgien und Rheuma. Und Haarspülungen mit Melissentee verzögern das Grauwerden.
Gegenwärtig wird viel geforscht über den Einfluss, den die Melisse und ihr ätherisches Öl auf Demenzerkrankungen im Alter haben kann. Sie scheint den Krankheitsverlauf zu verzögern und eine Stärkung von Gedächtnis und Konzentration zu bewirken. Im Gehirn aktiviert sie den Botenstoff Acetylcholin, der für ein gutes Gedächtnis, Wachheit und Aufmerksamkeit zuständig ist. Bei der Alzheimer-Demenz ist er stark reduziert.
Auch in einem gesunden Gehirn stärkt die Zitronenmelisse die Gedächtnisleistung. Eine Studie belegt, dass Studierende effektiver lernen können mithilfe von Melisse und ihrem Duft. Auch diese Wirkung hat eine alte Tradition: im 16. Jahrhundert schon wurde die Melisse als „Geistesbeschleuniger“ gelobt.
Anwendung in anderen Therapiebereichen
In der Homöopathie wird Melissa officinalis eingesetzt, um den Menstruationsrhythmus zu regulieren.
Die Melisse ist in der Spagyrik der Venus zugeordnet und öffnet Herz und Augen für die Schönheit dieses Lebens. Die Essenz schafft Vertrauen, wenn die Angst vor Gegenwart und Zukunft zu groß wird. Und sie bringt während einer Midlifecrisis zu den eigenen Wurzeln zurück.
Wirkung auf die Psyche
Der Duft der Melisse erfrischt, belebt, weckt Leichtigkeit und Frohsinn. Er vertreibt Trauer, melancholische Stimmungen und hilft dabei, alte Traumen zu überwinden. Das bringt Licht und Zuversicht in Alltagsgedanken, schenkt liebevolle und entspannte Ruhe und öffnet für das Gefühl der Lebensfreude. Die Melisse führt zu den eigenen Wurzeln zurück. Sie öffnet das Herz für liebevolle Gedanken – auch für sich selbst – und hilft, ein Ziel zu verfolgen, beständig dabei zu bleiben und den Überblick zu behalten. Die Melisse gleicht Stimmungsschwankungen aus und ist die Pflanze der Wahl, wenn ein Durcheinander in den Gefühlen in Zeiten von „Himmelhoch-jauchzend-zu-Tode-betrübt“ besteht. Sie ist auch bei Liebeskummer zur Stelle. Melisse erfüllt mit Dankbarkeit und Freude.
Dosis/Dosierung
1,5–4,5 g
Darreichungsformen und Zubereitungen
Behandlungsempfehlung
Melissentee
Der Tee sollte so oft wie möglich aus frischen Melissenblättern zubereitet werden, er schmeckt sehr viel besser als Tee, der aus getrockneten Blättern aufbereitet wird. Der Tee kann – unabhängig von einer genauen Dosierungsangabe – so aufgegossen werden, dass er gut schmeckt und gerne getrunken wird. Melissentee entfaltet seine Wirkung auch zusammen mit anderen Kräutern: Kombinationen mit Kamille, Pfefferminze, Kümmel sind sinnvoll, wenn der Magen beruhigt werden soll. Beim Einschlafen helfen Hopfen, Passionsblume, Hafer, Baldrian oder Lavendelblüten.
Kräuterkissen
Auch ein Kräuterkissen sorgt für wohliges Einschlafen und Träumen: Melissenblätter, Hopfenzapfen, Beifuß und Schlüsselblumenblüten können – getrocknet – in ein Leinensäckchen eingenäht und unters Kopfkissen gelegt werden.
Vollbäder
Vollbäder wirken beruhigend und aufbauend – 50 g Melissenblätter mit 1l heißem Wasser übergießen, 10 Min. zugedeckt ziehen lassenabseihen und ins Badewasser geben.
Behandlungsempfehlung
Fertigarzneimittel
- Monopräparate: Gastrovegetalin Kps., Lomaherpan Salbe
- Kombinationspräparate: Euvegal 320/160 mg Tbl (+ Baldrian), Sedacur forte (+ Baldrian, Hopfen)
Nebenwirkungen, Interaktionen, Kontraindikationen
Es sind keine bekannt.