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Pflanzenheilkunde

Meerrettich (Armoracia rusticana)

Kreuzblütler

Abbildung 1. Meerrettich, Pflanze mit Stängel, Blättern und Blüten.
Abbildung 1. Meerrettich, Pflanze mit Stängel, Blättern und Blüten.

Geschichte

Die „bayerische Zitrone“ – Meerrettich enthält doppelt so viel Vitamin C wie Zitronen ungefähr 170 mg/100 g – wird auch als Glücksbringer gehandelt. Ein Stückchen getrocknete Wurzel im Portemonnaie soll bewirken, dass der Geldbeutel das ganze Jahr über nicht leer wird. Und er schützt vor unliebsamen Einflüssen. Auch zur Wahrsagung diente er: Wollte ein junges Paar das Geschlecht ihres Kindes vor der Geburt wissen, so legten sich beide Ehepartner ein Stück Wurzel unter die Kopfkissen. Wessen Stück zuerst schwarz wurde, dessen Geschlecht sollte das Kind haben.

Meerrettich spielte vom Mittelalter bis in die Neuzeit als Heilmittel und Nahrungsmittel eine wichtige Rolle. Hildegard von Bingen (ca. 1098-1179) setzte die „Merrich“ bei Brust- und Bauchschmerzen ein. Beschwerden mit der Verdauung, hartnäckiger Husten, auch Natternbisse und Pilzvergiftungen wurden in alten Zeiten damit behandelt. Bei Entzündungen des Mund- und Rachenraumes wurde damit gegurgelt. Lungenkrankheiten versuchte man mit Meerrettichsaft zu heilen. Viele dieser Anwendungen finden sich heute noch in der Volksheilkunde.

Auch als Nahrungsmittel ist der Meerrettich sehr beliebt. Mit seinem scharfen, aromatischen Geschmack bereichert er viele Gerichte. Wasabi, der japanische grüne Meerrettich, ist noch um einiges schärfer.

Botanischer Steckbrief

Der ausdauernde Wurzelstock hat eine walzenartige Form, er wird etwa einen halben Meter groß mit einem Durchmesser von etwa vier Zentimetern. Außen ist die Wurzel hellgelb und innen weißlich. Bevorzugt wächst sie auf sandigen feuchten Böden, wo sie sich mit ihrer starken Wurzelbildung weiträumig ausbreitet.

Im Frühjahr treibt die Meerrettichwurzel große, dunkelgrüne, lang gestielte Blätter aus, die bis zu 1 m hoch werden können. Sie sind ein wenig wellig gekerbt und in sich gedreht. Aus ihrer Mitte wächst ein Blütenstängel hervor, er ist mit kleinen, lanzettlichen Blättern bestückt. Ab Mai blühen die kleinen weißen Blüten in großen Rispen, die auch bis zu 1 Meter hoch werden können. Die Früchte sind kugelig bis eiförmig und stehen am Ende von 1–2 cm langen, dünnen, aufrecht abstehenden Stielen.

Als Arzneidroge kommt die Meerrettichwurzel (Armoraciae radix) zur Anwendung. Sie wird von Herbst bis Frühjahr geerntet und frisch oder getrocknet verwendet.

Signatur

Armoracia bedeutet am Meer wachsend. Die Heimat des Meerrettichs liegt am Schwarzen Meer. Rusticana bedeutet bäuerlich. Andere behaupten, es bedeute mehr Rettich oder großer Rettich. Der scharfe Geruch und Geschmack auch schon der Blätter lässt auf die belebende, reinigende und entzündungshemmende Wirkung schließen.

Inhaltsstoffe und Wirkung

Die Meerrettichwurzel wirkt als Phytobiotikum, als pflanzliches Antibiotikum. Sie hat folgende wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe:

  • Glucosinolate bzw. Senfölglykoside (Gluconasturtiin und Sinigrin)
  • Phenolcarbonsäuren
  • Flavonoide (Quercetin, Kämpferol)
  • Vitamine C und B1
  • Mineralstoffe (u.a. Kalium, Kalzium, Magnesium, Phosphor)

Die Senföle haben folgende Wirkungen:

  • antimikrobiell:
    • stark antibakteriell gegen grampositive und gramnegative Bakterien
    • antiviral
    • pilzhemmend (Candida albicans)
  • immunstimulierend
  • tonisierend:
    • appetitanregend, verdauungsfördernd
    • allgemein belebend
  • krampflösend an der glatten Muskulatur
  • schleimverflüssigend

Hinweis

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Senföle werden im Körper über die Nieren und Atemwege ausgeschieden und entfalten besonders in diesen Organen ihre Wirkung. Bereits 1–3 Stunden nach Aufnahme von 10–25 g geriebener Meerrettichwurzel sind im Urin schon Verbindungen nachzuweisen, die das Wachsen von Bakterien hemmen.

Anwendungsgebiete

Die unverletzte Meerrettichwurzel ist geruchlos. Erst beim Reiben wird der scharfe Geruch frei, der für die Pflanze Schutz vor mikrobiellem Befall und Fressfeinden bietet. Wenn die Zelle verletzt wird, wird das darin enthaltene Enzym Myrosinase aktiv und spaltet den Zuckeranteil von den inaktiven Glucosinolaten ab. Sofort werden die Senföle frei – sie sind am Geruch zu erkennen. Die Senföle hemmen aber auch das bakterielle Kommunikationssystem (Quorum sensing/QS): Bakterien „verabreden“ sich zu mehr oder weniger großen Gruppen und bilden dann zusammen einen Biofilm, der sie vor Angriffen des Immunsystems oder auch durch Antibiotika schützt. Senföle verhindern die Ausbildung eines solchen Biofilmes, sodass die körpereigne Abwehr oder Antibiotika die Bakterien bekämpfen können.

Zubereitungen aus der Meerrettichwurzel zur inneren Anwendung sind angezeigt bei folgenden Indikationen:

  • antimikrobiell: Senföle entfalten ihre Wirkung gegen Bakterien, Viren und pathogene Darmpilze (vgl. Kapuzinerkresse).
  • bakterielle Harnwegsinfekte: Meerrettich eignet sich zur Behandlung und Nachbehandlung von bakteriellen Infekten der Harnwege.
  • Atemwegsinfekte: Meerrettich angezeigt bei Erkältungen und Entzündungen der Atemwege.
  • immunstimulierend: mobilisiert die Abwehrkräfte auch gegen Viren

Zubereitungen aus der Meerrettichwurzel in Form eines Breiumschlags (s.u.) sind zur äußeren Anwendung angezeigt bei folgenden Indikationen:

  • Muskelschmerzen, Gicht und degenerative Gelenkerkrankungen (Achtung: kontraindiziert bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen).
  • Auch bei beispielsweise Stirnhöhlen- und Nasennebenhöhlenentzündungen hilft eine solche Kompresse.

Fallbeispiel

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Die Erkältung war wieder vorbei, aber die Nasennebenhöhlen und damit der ganze Kopf schmerzten immer noch. Deswegen erinnerte sich die 34-jährige Anna S. an den Rat ihrer Großmutter und besorgte sich ein Stück frische Meerrettichwurzel. Bereits beim Reiben spürte sie, wie die Dämpfe weit in die Nase hinauf stiegen. Sie wickelte 1 TL davon in ein Taschentuch und legte es sich in den Nacken. Nach 10 Min. war die Nase frei. (Bitte nicht auf die Wangen legen – die Dämpfe wären für die Augen zu kräftig.)

Indikationen nach Kommission E

Meerrettichwurzel bekam eine Positivmonografie der Kommission E mit der Indikation: innere und äußere Anwendung bei Katarrhen der Luftwege, innerlich unterstützend bei Infektionen der ableitenden Harnwege und äußerlich zur hyperämisierenden Behandlung bei leichten Muskelschmerzen.

Indikationen nach Erfahrungsheilkunde

Die Volksmedizin verwendet die frisch geriebene Wurzel außerdem bei Husten, Bronchitis, Katarrhen der Atemwege und Schnupfen. Für die Seefahrer war in alten Zeiten die Vitamin C-reiche Wurzel ein wichtiger Begleiter auf ihren Schiffsreisen. Sie half Skorbut zu verhindern.

Anwendung in anderen Therapiebereichen

In der Homöopathie wird Cochlearia armoracia (so lautet der alte botanische Name) bei Schwächezuständen, Brust-, Blasen- oder Augenentzündungen angewendet.

Prävention

Weil Meerrettich auch die Abwehrkräfte mobilisiert, kann er in Ansteckungszeiten zur Vorbeugung in den Speiseplan eingeführt werden. In fränkischen Meerrettichfabriken gibt es keinen Krankenstand im Winter. Die tägliche Dosis Meerrettich hält gesund – auch wenn nur der Duft eingeatmet wird.

Wirkung auf die Psyche

Auch auf der psychischen Ebene sorgt der Meerrettich wie eine frische Meeresbrise für klare, zielgerichtete Gedanken und macht entschlussfähig. Dieser Duft gleicht dem Atem des Drachen, der alles Benebelte klärt. Das bringt augenblicklich in die Gegenwart und auch in die eigene Kraft, macht frech, frisch, fröhlich und frei.

Dosis/Dosierung

Als Tagesdosis werden 20 g der frischen Wurzel empfohlen, Meerrettichpulver ca. 1 g pro Tag. Im Pulver sind bis zu 90% Allylsenföle enthalten. Von dem Frischpflanzenpresssaft reichen 2-mal täglich 1 EL. Da sich die wirksamen Inhaltsstoffe bereits nach ca. 15 Min. verflüchtigen, sollte die Wurzel immer frisch gerieben werden. Zubereitungen müssen in ihrer Dosierung entsprechend angepasst werden.

Darreichungsformen und Zubereitungen

Vorsicht

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Meerrettichwurzel sollte nicht als Tee zubereitet werden, weil durch das heiße Wasser das Enzym Myrosinase zerstört wird und dann der Zuckerteil der Senfölglykoside nicht abgespaltet werden kann. So können keine freien und damit wirksamen Senföle entstehen. Für die äußere Anwendung sind Salben und Gele mit maximal 2% Senfölen angezeigt.

Kinder nicht mit einer Kompresse behandeln.

Die starke, hautreizende Wirkung einer Meerrettichkompresse wird bei Schnupfen, Husten und Migräne als wohltuend empfunden.

Behandlungsempfehlung

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Meerrettichkompresse

Bei der Zubereitung darauf achten, dass kein Kontakt mit den Augen entsteht, denn die Senföle brennen auch dort sehr stark. Während der Dauer der Packungsauflage eventuell die Augen mit einem Frotteetuch abdecken. Eine teelöffelgroße Menge frisch geriebenen Meerrettich in ein Taschentuch einwickeln und je nach Lokalisation auf die betreffende Stelle für 2–5 Min.

  • auf den Nacken legen – zwischen den 6. und den 7. Halswirbel, der Reflexzone für Nasennebenhöhlen. Zusätzlich durch die Dämpfe kann die Nase wieder frei werden. Achtung: nicht auf die Wangen legen, die Dämpfe wären für die Augen zu stark.
  • bei Ischias, Hexenschuss, Neuralgien, Nervenentzündungen und Blasenentzündungen direkt auf die schmerzende Stelle legen

Sobald das Brennen zu intensiv wird, spätestens aber nach 5 Min., Kompresse entfernen und gerötete Haut mit Johanniskrautöl o.ä. einreiben.

Wichtig: Die Kompresse nicht bei Kindern, Personen mit Sensibilitätsstörungen, auf erkrankter und entzündeter Haut sowie bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen anwenden.

Meerrettichsirup

Frischen Meerrettich fein reiben und lagenweise mit Honig in ein Glas füllen, nach 24 Std. abpressen und in kleines Fläschchen füllen; kühl aufbewahren; innerhalb einer Woche aufbrauchen. 3-mal täglich 1 TL einnehmen.

Behandlungsempfehlung

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Fertigarzneimittel

Kombinationspräparate: Angocin Anti-Infekt N (+ Kapuzinerkresse)

Nebenwirkungen, Interaktionen, Kontraindikationen

  • Nebenwirkungen: Magen-Darm-Beschwerden sowie allergische Reaktionen und Schleimhautreizungen können auftreten. Patienten sollten bei der Anwendung reichlich trinken. Die Anwendung sollte nicht länger als 4 Wochen dauern.
  • Interaktionen: Es sind keine bekannt.
  • Kontraindikationen:
    • Bei Magen- oder Darmgeschwüren und Nierenentzündung darf Meerrettichwurzel nicht eingenommen werden.
    • Bei Kindern unter 4 Jahren darf Meerrettichwurzel nicht angewendet werden.

Hinweis

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Meerrettich und Meerrettichpräparate werden besser vertragen, wenn man sie mit oder nach dem Essen einnimmt.

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