Hahnemann äußert sich in den §§ 63–65 zu den generellen Wirkungen von Arzneimitteln und unterscheidet darin die Erstwirkung von der Nachwirkung. Er schrieb dazu: „Jede auf das Leben einwirkende Potenz, jede Arznei, stimmt die Lebenskraft mehr oder weniger um, und erregt eine gewisse Befindens-Veränderung im Menschen auf längere oder kürzere Zeit. Man benennt sie mit dem Namen: Erstwirkung. Sie gehört, obgleich ein Product aus Arznei- und Lebenskraft, doch mehr der einwirkenden Potenz an. Dieser Einwirkung bestrebt sich unsere Lebenskraft ihre Energie entgegen zu setzen. Diese Rückwirkung gehört unserer Lebens-Erhaltungs-Kraft an — und ist eine automatische Thätigkeit derselben, Nachwirkung oder Gegenwirkung genannt."
Die Erstwirkung (Primärwirkung/Kunstkrankheit) ist die unmittelbare Wirkung der Arznei. Die sogenannte Nachwirkung (Sekundärwirkung) ist das Bestreben des Organismus (der Lebenskraft), diese störende Erstwirkung auszugleichen und den Organismus in seinen Ausgangszustand zurückzuführen. Erst- und Nachwirkung sind immer entgegengesetzt und gleich stark. Mit anderen Worten: Je stärker die Erstwirkung, umso stärker die zum Ausgleich erforderliche Nachwirkung.
Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Koffein, eingenommen, um nicht müde zu sein, verursacht in seiner Erstwirkung einen Energieschub, der Blutdruck steigt, die Müdigkeit verschwindet, bisweilen kommt es sogar zur Leistungssteigerung. Endet die Erstwirkung, folgt die Nachwirkung: Der Blutdruck sinkt, die Müdigkeit erreicht einen erneuten Tiefpunkt und die Leistungsfähigkeit sinkt. Auch hier werden immer höhere Dosen nötig, um der Müdigkeit entgegenzuwirken.
Merke
In der Schulmedizin liegt die erwünschte Wirkung in der Erstwirkung (Primärwirkung), in der Homöopathie in der Nachwirkung (Sekundärwirkung).
In der allopathischen Medizin werden Arzneien verabreicht, die in der Erstwirkung den Symptomen entgegengesetzt sind. Sie können Symptome zeitweise lindern oder aufheben. Klingt die Wirkung der Arznei ab, kehren auch die Symptome zurück durch die Reaktion des Organismus, der Nachwirkung, teilweise sogar, wie oben aufgezeigt, stärker als zuvor.
In der Homöopathie werden hingegen Arzneien eingesetzt, die in ihrer Primärwirkung den Symptomen des Kranken ähnlich sind. Daher kann eine kurzzeitige Verstärkung, die sogenannte Erstverschlimmerung auftreten. Doch dadurch wird der Organismus in der Sekundärwirkung in die Lage versetzt, die Selbstheilungskräfte zu aktivieren und gesund zu werden. Und zwar schnell, sanft, sicher und dauerhaft. Damit also eine Arznei homöopathisch heilen kann, muss ihre Primärwirkung den Symptomen der Krankheit ähnlich sein.